GKV: Auch für 2024 wird Milliarden-Defizit erwartet. Für grundlegende Reformen statt wenig nachhaltiger Spargesetze
Anteil der Arzneimittelausgaben an den GKV-Ausgaben ist seit Jahren stabil; aufgrund der Inflation sind die Arzneimittelausgaben im ersten Quartal 2023 sogar real gesunken.
Nur ein Jahr, nach dem das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) erlassen wurde, droht den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wieder ein Milliardendefizit. Mit bis zu sieben Milliarden Euro rechnen die Expert:innen. An den Ausgaben für Arzneimittel liegt das – wie auch schon in den vergangenen Jahren nicht: Die sind im ersten Quartal lediglich um 2,7 Prozent gestiegen, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilt. Bereinigt um die immer noch hohe Inflation sind die Arzneimittelausgaben pro Versicherten sogar um 5,3 Prozent gesunken. Damit bleibt der Anstieg bei den Arzneimittelausgaben wie auch im vergangenen Jahr hinter der allgemeinen Preisentwicklung zurück.
Insgesamt sind die Leistungsausgaben der GKV im 1. Quartal um 5,3 Prozent gewachsen – das ist ebenfalls real ein Minus. Trotzdem wird auch in diesem Jahr wieder mit einem Milliardendefizit der GKV gerechnet. Laut Experten wird sich das nicht ändern, wenn nicht endlich strukturelle Reformen auf den Weg gebracht werden.
Die aktuellen Zahlen zu den Ausgaben der GKV im ersten Quartal 2023 zeigen erneut: Der Anteil der Arzneimittelausgaben an den gesamten GKV-Ausgaben ist in Deutschland seit Jahren stabil; wie bereits im vergangenen Jahr sind sie aufgrund der hohen Inflation in den ersten drei Monaten 2023 sogar real gesunken. Damit ist das immer wieder bemühte Argument, die Ausgaben für Arzneimittel stellten ein Problem für die Finanzierbarkeit des öffentlichen Gesundheitswesens dar, einmal mehr widerlegt.
Aus unserer Sicht als forschendes Pharmaunternehmen ist dabei wichtig:
- Arzneimittelausgaben stellen keine Bedrohung für die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems dar.
- Einseitig kostensenkende Maßnahmen zum kurzfristigen Schließen von Finanzierungslücken in der GKV bieten meist keine Lösung. Vielmehr ist eine nachhaltige Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens dringend nötig.
- Gesundheit ist ein Wert an sich. Gesundheitsausgaben sind Investitionen in den individuellen und gesellschaftlichen Wohlstand.
Dies wird auch durch eine neue gesundheitsökonomische Untersuchung untermauert.
Als Schlüsselindustrie spielen die forschenden Pharmaunternehmen eine wichtige Rolle für die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Trotz dieser Beobachtungen wird die nicht vorhandene „Dynamik“ bei den Arzneimittelausgaben immer wieder als Begründung herangezogen, um die Lücken der GKV zu stopfen. Das jüngste Beispiel: Das Ende 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG). Dieses Gesetz stellt eine hohe Belastung für die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie dar und verschlechtert erheblich die Rahmenbedingungen für gesundheitliche Innovationen in Deutschland – mit voraussichtlich negativen Folgen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten. Schlimmer noch: Einseitig auf Arzneimittelausgaben ausgerichtete Spargesetze wie das GKV-FinStG bieten keine nachhaltige Lösung. Deshalb wird schon für 2024 das nächste Milliardendefizit in der GKV erwartet – nur ein Jahr nach dem Gesetz, das „Finanzstabilisierung“ im Namen trägt.
Eine neue Studie zeigt: An Reformideen zur nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens herrscht kein Mangel
Sinnvoller als Debatten über das kurzfristige Schließen von Finanzierungslücken wäre eine Erörterung darüber, welche grundlegenden Reformen nötig sind, um die GKV zukunftsfest zu machen. Dies zeigt eine neue gesundheitsökonomische Untersuchung des Analyse- und Versorgungsforschungsunternehmens Vandage, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universitäten Bielefeld und Mannheim erstellt wurde und die auch Bristol Myers Squibb mit unterstützt hat. In der Initiative „Reformvorschläge zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ wurden insgesamt 93 verschiedene Reformvorschläge, die in den vergangenen 23 Jahren in die politische Debatte eingebracht wurden, aufgelistet und bewertet.
Die Untersuchung hat gezeigt: Es gibt viele Ideen, die sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite einbeziehen. Beides sinnvoll auszubalancieren, wird die Aufgabe der Ausgestaltung einer wirklich strukturellen Reform sein. Insbesondere die Fokussierung auf Arzneimittelkosten (mit rund 17 Prozent Anteil an den GKV-Gesamtausgaben ohnehin ein kleiner Hebel) auf der Ausgabenseite, wie es durch das GKV-FinStG umgesetzt wurde, hat in unseren Augen ein hohes Potenzial für negative Folgen. Sein innovationsfeindlicher Ansatz könnte die Versorgung kranker Menschen mit neuen Arzneimitteln in Deutschland nachhaltig verschlechtern, wenn nicht gegengesteuert wird.
Gesundheit ist ein Wert an sich. Gesundheitsausgaben sind Investitionen in die Zukunft
Eine Kernaussage der Studie: Gesundheit ist ein Wert an sich und eine entscheidende Grundlage für menschliche Entwicklung und Wohlstand. Insofern sind Gesundheitsausgaben weniger ein Kostenfaktor, sondern Investitionen in das individuelle und in das gesellschaftliche Wohlergehen. Sie können den demografischen Wandel abfedern und dafür sorgen, dass Menschen gesund altern können.
Um dies in Deutschland bestmöglich sicherzustellen, braucht es eine hochwertige und flächendeckende medizinische Versorgung sowie eine leistungsfähige Gesundheitswirtschaft. Voraussetzung dafür sind stabile Finanzen. Deshalb ist die Sicherstellung einer stabilen, verlässlichen und solidarischen Finanzierung für die politischen Entscheidungsträger eine der großen Zukunftsaufgaben.
Hierbei spielen die forschenden Pharmaunternehmen mit der Entwicklung und Herstellung hochwertiger Arzneimittel und Impfstoffe eine wichtige Rolle. Sie sind zwingend auf ein nachhaltig finanziertes und stabiles Gesundheitssystem angewiesen, um einen stabilen Rahmen für die aufwändige, langwierige und risikobehaftete Forschung an neuen Medikamenten zu erhalten. Eingriffe in den Markt in Form von einseitigen Spargesetzen bei Arzneimittelausgaben hat für sie negative Effekte: Denn mit den Einnahmen von heute finanzieren Unternehmen wie Bristol Myers Squibb die Forschung für die Medikamente von morgen. Und wenn die Einnahmen abschmelzen oder die Planbarkeit durch unsichere Rahmenbedingungen verloren geht, hat das zwangsläufig Folgen für die Höhe der Investitionen – und die Qualität der Gesundheitsversorgung.
Mit dem AMNOG (“Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz”) wurde 2011 in Deutschland ein Verfahren der nutzenbasierten Preisbildung eingeführt – ein Markenzeichen des deutschen Pharmastandorts. Alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen durchlaufen seitdem das AMNOG-Verfahren mit Nutzenbewertung und Preisverhandlung. Der medizinische Fortschritt schreitet jedoch rasant voran und erfordert eine Modernisierung der Nutzenbewertungs- und Erstattungsregeln. Der vfa hat jetzt hierfür ein Reformkonzept vorgelegt – dies ist ebenfalls ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Sicherstellung einer bestmöglichen Versorgung von Patient:innen in Deutschland.
Pharma und Biotech: Eine Zukunftsbranche
Der Zukunftsrat beim Bundeskanzler hat die Bedeutung der forschenden Pharmaindustrie gerade noch einmal unterstrichen: Die Biotechnologie ist „eine Schlüsseltechnologie für den Standort Deutschland“, schreibt er. Deshalb sollten „die aussichtsreichen Bedingungen gefördert werden, „um Forschungsergebnisse in die Anwendung und den Aufbau von Biotechnologie-Hubs mit internationaler Strahlkraft zu übertragen.“
Die forschende Pharmaindustrie ist eine Zukunftsbranche, die deshalb gestärkt werden sollte. Spargesetze wie das GKV-FinStG passen nicht zu diesem Ziel; sie sind kontraproduktiv. Nicht die Ausgaben für Arzneimittel sind das Problem der GKV. Wir brauchen dringend eine Debatte über die nachhaltige Finanzierung der GKV, um das System langfristig zukunftsfähig zu machen.