Ein nachhaltiges Gesundheitswesen muss für alle Stakeholder funktionieren

Ein Beitrag von Monica Shaw, Senior Vice President, Head of European Markets, Bristol Myers Squibb

Alternde Gesellschaften und die damit verbundene Zunahme chronischer Krankheiten führen aktuell zu einer starken Belastung knapper Gesundheitsressourcen. Gleichzeitig fordern geopolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Druck sowie die anhaltenden Auswirkungen von Covid-19 die Gesundheitssysteme heraus. Viele davon schaffen es heute nicht mehr, Patient:innen die neuesten Medikamente zur Verfügung zu stellen.

Als ehemalige Ärztin im Nationalen Gesundheitsdienst des Vereinigten Königreichs (kurz NHS) weiß ich, wie wichtig es ist, dass Patient:innen die richtigen Arzneimittel zur richtigen Zeit erhalten. Gleichwohl ist mir bewusst, dass die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems entsprechende Ressourcen erfordert. Aber die Gesundheitsversorgung rein als Kostenfaktor und nicht als Investition zu betrachten, verkennt den Wert der Innovation für Patient:innen. Neue Medikamente sind dabei das Herzstück der Gesundheitsversorgung. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Betroffene Zugang zu ihnen haben – und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Darauf lohnt es sich hinzuarbeiten.

Der Anteil der Nettoausgaben für Arzneimittel an den gesamten Gesundheitsausgaben ist in den großen europäischen Ländern in den letzten 20 Jahren stabil geblieben. Und das, obwohl in dieser Zeit viele neue innovative Therapien zur Verfügung gestellt wurden – beispielsweise gegen Krebs, Hepatitis C, in der Immunologie und bei zahlreichen seltenen Erkrankungen, für die es zuvor keine Behandlung gab. Regierungen in Europa versuchen, die Gesundheitsausgaben zu kontrollieren, beispielsweise indem sie Zwangsrabatte und Rückerstattungen auf Arzneimittel von den Herstellern verlangen. Angesichts der wachsenden Produkt-Pipeline und der daraus resultierenden Menge an neuen Medikamenten und des Tempos der Wissenschaft wird dies absehbar immer schwieriger werden.

Staatliche Maßnahmen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben können negative Folgen für die Versorgung haben. Diese Maßnahmen behandeln Arzneimittel als reinen Kostenfaktor. Sie versäumen es dabei, Innovationen zu belohnen, die nachweislich einen erheblichen Nutzen für die Gesundheit bringen. Sie können die forschenden Unternehmen davon abschrecken, ihre Innovationen in den Markt einzuführen, und sie übersehen die demografische und epidemiologische Komplexität der Patientenpopulationen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Investitionen in die frühen Phasen der Forschung nicht abgeschreckt werden. Wir brauchen mehr, nicht weniger klinische Studien und Behandlungsmöglichkeiten für Patient:innen.

Wir bei Bristol Myers Squibb können den wirtschaftlichen Druck, dem die Regierungen ausgesetzt sind, nachvollziehen. Allerdings sollten Maßnahmen zur nachhaltigen Ausgestaltung des Gesundheitswesens sorgfältig geprüft werden, um konkurrierende politische Prioritäten gegeneinander abzuwägen. Wir sind davon überzeugt, dass richtig konzipierte Maßnahmen Innovationen belohnen, die Wertschöpfung fördern und den Zugang von Patient:innen zu Arzneimitteln verbessern können.

Ausgaben-Management

Politische Maßnahmen zur Kontrolle von Arzneimittelausgaben müssen das richtige Gleichgewicht zwischen Ausgaben-Management und der Verfügbarkeit von Innovationen finden. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt. Drei Viertel der gesamten europäischen Gesundheitsausgaben entfallen auf die Behandlung chronischer Krankheiten. Im Jahr 2050 werden in der EU annähernd 500.000 Menschen leben, die über einhundert Jahre alt sind. Im selben Jahr wird das Durchschnittsalter der EU-Bevölkerung bei 48,2 Jahren liegen. Durch diese Alterung sind wir mehr chronischen Krankheiten ausgesetzt. Innovationen können dazu beitragen, den Bedarf an entsprechenden Gesundheitsleistungen zu decken.

Einige Maßnahmen, wie z. B. Zwangsrabatte, wirken wie eine Steuer, ohne dass jedoch gewährleistet ist, dass die bei bestehenden oder älteren Arzneimitteln erzielten Einsparungen auch in neuere Arzneimittel reinvestiert werden. Instrumente wie Rückerstattungsforderungen an Unternehmen (sog. Clawbacks) werden häufig dann vorgenommen, wenn die öffentlichen Gesamtbudgets für Arzneimittel oder Produktbudgets ausgeschöpft worden sind, allerdings unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage oder der Art des Arzneimittels. Diese Maßnahmen sparen vielleicht Geld, aber sie kosten Innovation. Damit ist Patient:innen nicht geholfen.

Deshalb sollten forschende Arzneimittelhersteller und politische Entscheidungsträger:innen gemeinsam an der Gestaltung von gesundheitspolitischen Maßnahmen arbeiten, um die negativen Auswirkungen von Sparmaßnahmen auf Arzneimittelinnovationen und die Patient:innenversorgung möglichst gering zu halten.

Die Arzneimittelausgaben sollten sich an der Nachfrage orientieren, entsprechend den Bedürfnissen der Gesundheitsversorgung wachsen können und in mehrjährigen Zyklen festgelegt werden. Der ganzheitliche Wert von Arzneimitteln – für die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik und für das Gesundheitssystem insgesamt – sollte in die Nutzenbewertung und Erstattungsfindung von Arzneimitteln einfließen.

Auf diese Weise sollte grundsätzlich ein Konsens über den Wert medizinischer Innovation erreichbar sein. Vereinbarungen über die Erstattungsbedingungen und den Zugang zu innovativen Medikamenten, die zwischen den Verantwortlichen für die öffentlichen Gesundheitssysteme auf der einen Seite und den die Innovationen zur Verfügung stellenden forschenden Pharmaunternehmen auf der anderen Seite geschlossen werden, sollten auf Basis eines soliden und allgemein akzeptierten wertbasierten Rahmens entstehen und damit sowohl zu einem größeren Konsens über den Wert der Innovation als auch die Auswirkungen auf das öffentliche Ausgabenbudget im Gesundheitswesen führen. Die Patient:innen würden gleichzeitig schneller Zugang zu den neuesten Innovationen erhalten.

 

Innovation vorantreiben

Der Zugang zu neuen Medikamenten ist in Europa ungleich verteilt. In einigen Ländern können Patient:innen sehr bald nach der Zulassung eines neuen Medikaments Zugang zu diesem erhalten. In anderen Ländern müssen sie jahrelang warten. Das ist sehr frustrierend, insbesondere für Patient:innen. Ein maßgeschneiderter Ansatz für die Preisgestaltung, der die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt, einschließlich der Zahlungsfähigkeit, des Gesundheitssystems und der Nutzenbewertung, könnte hier einen Unterschied machen. Es muss der politische Wille vorhanden sein, Innovationen für alle Bürger:innen bereitzustellen, unabhängig davon, wo sie leben. Angemessene Budgets, gut funktionierende Erstattungssysteme und effiziente Investitionen in das Gesundheitswesen können dabei helfen.

Ich bin mit der Faszination für die Wissenschaft aufgewachsen. Diesen Sinn für „Wunder und Möglichkeiten“ habe ich nie verloren. Meine Leidenschaft für Innovationen ist heute noch genauso groß wie damals während meines Medizinstudiums in Oxford. Das führte mich auch in die biopharmazeutische Industrie. Im Verlauf meiner bisher 20-jährigen Karriere dort durfte ich miterleben, wie Krankheiten immer besser verstanden und behandelbar wurden, wie Medikamente immer besser wurden und wie sehr Patient:innen von unseren Innovationen profitierten. Die Gesundheitspolitik kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen zu unterstützen, die Behandlungsergebnisse für Patient:innen zu verbessern und die Erfolge von Wissenschaft und Innovation zu belohnen. Wir glauben, dass diese Ziele durch den Dialog zwischen allen Beteiligten erreicht werden können.

Der künftige Wohlstand der EU wird zunehmend von ihrer Wettbewerbsfähigkeit abhängen. Wenn wir unser gemeinsames wirtschaftliches Potenzial ausschöpfen wollen, müssen wir eine gesunde und produktive Bevölkerung haben und die Chancen der Innovation nutzen.

Die finanzielle Konsolidierung von Gesundheitssystemen sollte nicht auf Kosten von Innovation gehen. Stattdessen kann das eine das andere ermöglichen, mit dem Ergebnis, dass Patient:innen und Bürger:innen – bildlich gesprochen - von einer höheren Welle profitieren können, die alle Boote hebt.


Hier geht es zum Originalbeitrag in englischer Sprache: https://www.eupolicy.bms.com/our-stories/policy-priorities/for-healthcare-to-be-sustainable--it-must-work-for-innovators--h.html

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