Neue Wege, die Reifung roter Blutkörperchen bei myelodysplastischen Syndromen zu unterstützen
Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind eine Gruppe von Krebsarten, bei der die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) häufig nicht richtig im Knochenmark ausreifen und somit ihre Sauerstoff-transportierende Funktion im Körper nicht erfüllen können. Infolgedessen entwickeln etwa 85 Prozent der Patienten mit MDS eine Anämie (Blutarmut). Etwa die Hälfte der Patienten spricht auf derzeitige Therapien zur Steigerung der Produktion roter Blutkörperchen gar nicht oder nicht langfristig an. Die Betroffenen sind auf häufige Transfusionen mit Spenderblut (Erythrozytenkonzentrate) angewiesen, um die mit der Anämie verbundenen Symptome zu behandeln.1
In diesem Q&A erörtert Dr. Sandra Kurtin vom University of Arizona Cancer Center aktuelle Forschungsansätze, um herauszufinden, warum rote Blutkörperchen bei MDS nicht richtig reifen und wie durch gezielte Eingriffe in die verschiedenen Stadien ihrer Reifung dringend benötigte neuen Therapieoptionen entwickelt werden könnten.
Warum ist es so herausfordernd, wirksame Therapien für MDS zu entwickeln?
MDS sind kompliziert. Es war bislang schwierig, einen einzelnen Signalweg oder eine einzelne Zielstruktur zu ermitteln, die die mit MDS verbundenen Anomalien überwindet. Zum Beispiel kann die Mikroumgebung des Tumors eine Rolle spielen, also die Zellen im Knochenmark, die Wachstumsfaktoren aussenden oder anderweitig auf das Zellwachstum einwirken. Die meisten derzeitigen Therapien zielen auf Krebszellen ab, können aber möglicherweise nicht auf die Mikroumgebung einwirken. Darüber hinaus ist bekannt, dass Anomalien auf molekularer Ebene und am sogenannten Spleißosom zur Pathobiologie von MDS beitragen. Die einzige Möglichkeit auf Heilung besteht heutzutage durch eine Stammzelltransplantation, aber viele Patienten kommen für ein solches Verfahren nicht in Frage.
Warum ist eine Stammzelltransplantation für die meisten Patienten keine Option?
Es gibt durchaus Patienten, bei denen keine sofortige Behandlung angezeigt ist. Umgekehrt besteht die einzige Möglichkeit, die Anomalien von MDS zu überwinden, darin, das genetische Profil durch eine allogene Knochenmarktransplantation zu ersetzen. Eine Transplantation wird typischerweise bei Patienten mit Hochrisiko-MDS in Betracht gezogen. Dies ist ein sehr komplizierter Behandlungsprozess, der mit einem erheblichen Risiko verbunden ist. Entsprechend müssen die Patienten eine gute Organfunktion haben und fit genug sein, um sich dieser Behandlung zu unterziehen. Die meisten Transplantationszentren haben eine Altersgrenze von 65-70 Jahren, einige wenige erlauben Transplantationen auch bis zum Alter von 75 Jahren. Das durchschnittliche Diagnosealter von MDS-Patienten liegt bei 76 Jahren, so dass die Mehrheit der Patienten mit MDS dieses Kriterium nicht erfüllt.
Welche anderen Behandlungsstrategien werden für MDS erforscht?
Die Behandlung von Niedrigrisiko-MDS zielt darauf ab, den Verlust von Blutzellen, die Zytopenien, einschließlich der Anämie, zu verbessern und den Transfusionsbedarf zu verringern. Das primäre Behandlungsziel bei Hochrisiko-MDS ist unterdessen die Verlängerung der Überlebenszeit. Bei einigen Patienten mit Niedrigrisiko-MDS setzen Ärzte Behandlungen wie Erythropoietin ein, um die Produktion roter Blutkörperchen zu stimulieren. Bei Patienten, die auf diese Behandlung nicht oder nicht dauerhaft ansprechen, besteht aber ein ungedeckter medizinischer Bedarf.
Wie versuchen Forscher, die biologischen Mechanismen von MDS zu verstehen?
Pathologen erforschen noch immer den "normalen" Prozess, durch den Blutstammzellen ihr Schicksal festlegen und sich ausdifferenzieren, um all die verschiedenen Arten von Blutzellen im Knochenmark zu bilden. Früher dachten wir, dass dieser Prozess hauptsächlich durch Wachstumsfaktoren getrieben wird. Nun stellen wir fest, dass auch Transkriptionsfaktoren und andere molekulare Eigenschaften die Produktion dieser Zellen regulieren.
Was sind die wichtigsten unbeantworteten Fragen in der MDS-Forschung?
Wir versuchen zu verstehen, warum MDS eine so heterogene Krankheit ist: Warum entwickelt sie sich bei einigen Patienten langsam, während andere eine aggressivere Erkrankung haben? Welche Mechanismen und Zielstrukturen - wie beispielsweise Mutationen oder Transkriptionsfaktoren - tragen zu dieser Heterogenität bei? Und letztlich: Hat irgendeine dieser Anomalien entsprechende Zielstrukturen mit dem Potenzial für eine therapeutische Beeinflussung?
Einige der neuen Therapien, die zudem untersucht werden, sind auf neuartige Zielstrukturen ausgerichtet. Dazu gehören Kombinationstherapien aus verschiedenen Klassen von Arzneimitteln und einige neue Single-Agent-Therapien, die in Zukunft möglicherweise mit anderen Behandlungen kombiniert werden könnten. Auch bereits bekannte Therapien gegen akute myeloische Leukämie, die sich selbst aus einem MDS entwickeln kann, werden aktuell als mögliche Behandlungsmethoden für MDS erforscht. Alles in allem muss man sagen: Nach vielen Jahren gibt es endlich eine Menge spannender Forschungsansätze auf diesem Gebiet.
Referenzen
- Fenaux P. Luspatercept for the treatment of anemia in myelodysplastic syndromes (MDS) and primary myelofibrosis (PMF). Blood. 2019; 133(8):790-794