«Die Bedeutung von innovativen Therapien muss aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive betrachtet werden»
Eine neue Studie von gfs.bern zeigt, wie die Schweizer Bevölkerung zu innovativen Therapien steht, welche Erwartungen sie an den Zugang zu personalisierten Behandlungen hat und welche Herausforderungen es dabei gibt. Urs Bieri, Co-Leiter von gfs.bern, und René Buholzer, Geschäftsführer von Interpharma, geben Einblicke in die Studienergebnisse und erläutern deren Bedeutung für die Pharmaindustrie und das Gesundheitssystem in der Schweiz.
Moderator: Herr Bieri, können Sie uns einen kurzen Überblick über die neue Studie geben? Was waren die zentralen Ergebnisse?
Urs Bieri: Sehr gerne. Die Studie untersucht das Meinungsbild der Schweizer Bevölkerung zur personalisierten Medizin. Besonders interessant ist, dass 84% der Befragten der Meinung sind, dass alle Menschen in der Schweiz Zugang zu innovativen Therapien haben sollten, unabhängig von den Kosten. Zudem zeigt die Studie, dass die Solidarität im Gesundheitswesen für die Befragten eine grosse Rolle spielt.
Moderator: Herr Buholzer, warum spielt aus Ihrer Sicht die Solidarität eine so zentrale Rolle, wenn es um den Zugang zu innovativen Therapien geht?
René Buholzer: Solidarität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass innovative Therapien möglichst vielen Menschen zugutekommen. Das ist naheliegend: Patientinnen und Patienten wollen die Möglichkeit haben, vom medizinischen Fortschritt zu profitieren. Die Pharmaunternehmen möchten, dass alle gleichermassen Zugang zu ihren Innovationen haben. Wir wollen aber auch sicherstellen, dass das Gesundheitswesen nachhaltig finanzierbar bleibt.
Moderator: Das sieht man auch aus der Studie. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass alle Menschen Zugang zu innovativen Therapien haben, aber dass das Gesundheitssystem finanzierbar bleibt. Welches sind die Herausforderungen?
Urs Bieri: Ja, die grösste Herausforderung sind die hohen Kosten innovativer Therapien. 84% der Befragten sehen jedoch langfristige Einsparungen als Vorteil, da wirksame Therapien eine schnellere Rückkehr in den Alltag ermöglichen und somit die Belastung des Gesundheitssystems verringern. Zudem können genesene Patientinnen und Patienten wieder arbeiten, Steuern zahlen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Der Zugang zu Innovationen sollte daher nicht nur aus individueller, sondern auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive betrachtet werden.
Moderator: Herr Buholzer, was bedeutet das für die Pharmaindustrie? Welche Lösungen sehen Sie?
René Buholzer: Für die Industrie ist es zentral, dass neue, innovative Therapien für alle zugänglich sind, sobald sie die Zulassung erhalten haben – genau, wie es die Bevölkerung wünscht. Leider ist das heute immer weniger der Fall, weil das Verfahren zur Preisfestlegung von Medikamenten noch im letzten Jahrhundert feststeckt, während der medizinische Fortschritt laufend weitergeht. Daher ist entscheidend, dass wir dieses Verfahren modernisieren, und zwar zusammen mit allen beteiligten Akteuren.
Moderator: In der Studie wurden auch Kriterien untersucht, die für den Einsatz teurer, innovativer Therapien herangezogen werden könnten. Welche Kriterien hält die Bevölkerung für besonders relevant?
Urs Bieri: Die Studie zeigt, dass nach Sicht der Bevölkerung ausschliesslich medizinische Gründe den Ausschlag für den Zugang zu einer Therapie geben sollen. Es gibt zudem verschiedene Faktoren, die herangezogen werden können, wenn es darum geht, ob eine innovative Therapie zum Einsatz kommt. Besonders relevant sind der gesundheitliche Zustand der Patientinnen und Patienten, ihr Alter und ihre verbleibende Lebensdauer. Gleichzeitig lehnt die Mehrheit eine strikte Kostenobergrenze für Therapien ab – sie möchten keine harte finanzielle Begrenzung (auch nicht für ältere Menschen), sondern eine Abwägung auf Basis mehrerer Faktoren.
Moderator: Wer sollte nach Meinung der Bevölkerung über den Einsatz einer Therapie entscheiden?
René Buholzer: Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten in erster Linie Ärztinnen und Ärzten diese Entscheidungskompetenz zusprechen – und zwar in enger Absprache mit den Patientinnen und Patienten. Es besteht ein grosses Vertrauen darin, dass medizinische Fachpersonen gemeinsam mit den Betroffenen die bestmögliche Wahl für die jeweilige Situation treffen. In der Politik gibt es dagegen die Tendenz, solche Entscheidungen vermehrt dem Staat zu übertragen. Das halte ich für gefährlich.
Moderator: Zum Abschluss: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Takeaways aus der Studie?
Urs Bieri: Die Schweizer Bevölkerung steht hinter dem Prinzip der Solidarität und befürwortet einen breiten Zugang zu innovativen Therapien. Es gibt aber Herausforderungen in der Finanzierung, die weiter diskutiert werden müssen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die langfristigen gesellschaftlichen Vorteile innovativer Therapien eine zentrale Rolle in der Debatte spielen.
René Buholzer: Ich kann mich dem nur anschliessen. Das Ziel muss sein, allen Patientinnen und Patienten Zugang zu innovativen Behandlungen zu ermöglichen, ohne das Gesundheitssystem finanziell zu überlasten. Lösungsvorschläge vonseiten Pharma zur Modernisierung des Preisfestsetzungssystems liegen auf dem Tisch. Wie die Ergebnisse zeigen, erwartet die Bevölkerung zu Recht, dass Pharmaindustrie, Politik und Leistungserbringer gemeinsam Lösungen finden.
Die vollständige Studie finden Sie hier: Cockpit gfs.bern
Download Faktenblatt zur Studie: Faktenblatt